Mittwoch, 11. Februar 2009

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Junges, weibliches Bäckereipersonal dieser Stadt: In Eurer rotbäckigen Ruhe und Langmut habt ihr mir gezeigt, was diese Stadt wirklich ist: Ein niedersächsisches Rottenburg a.N., ein norddeutsches Reutlingen, ein Rentnerparadies; Ort der Muße und der Angst vorm Abend. Ein an guten Tagen einigermaßen barockes Lebensgefühl weht vom W'berg zum Schinkeler Friedhof, treibt mich an. Schauder, wohliger.

Dienstag, 26. August 2008

zwanzigjährige

Wenn sich demnächst endlich herumspricht, dass das Leben in einem stehengelassenen Joghurtbecher von unserem nicht verschieden ist, da darf man doch nicht erschrecken - das ist doch ein sehr schöner Gedanke. Eine schlüssige, elegante, für Fortgeschrittene auch trostreiche Lösung gegen viel Philosophie, Horoskopie, Mystik, Religion; Feuilleton, Wahrheiten, gelehrtes Raten; Grübeln, Sackgassen, Sinnsuche; Missionierung, Jenseitskult usw.- Ich meine: Du bist ein schönes, kluges Tier und es spricht nichts dagegen, das zu genießen. Aber mancher traut sich nicht, das ist halt schade. Vielleicht so:

I Es gibt nichts.
Den Planeten und das drumrum gibt es meinetwegen durchaus, oder genauer: Das tut nichts zur Sache. Aber Deine Welt, die voll ist von Kontinentalplatten und Gemüsehändlern und Schiefergebirgen und dem Gelsenkirchener Barock, die wurde nicht mit vorgefertgter Kategorisierung geliefert- stattdessen gilt: Es gibt nichts. Die Welt ist umherschwirrendes Material*, das sich auf verschlungenen Wegen aufeinandergestapelt hat (teils unter Zuhilfenahme von Bauunternehmungen, teils wegen Plattentektonik oder Trockenerosion). Kausalketten, die weit vor unsere Zeit zurückreichen und sich wie Ariadnes Faden durch unser Universum ziehen, erzwingen jeden Augenblick aus dem Vorhergehenden. Sie schreiben eine unendliche Geschichte sich aufeinanderstapelnder Materie. NB: Angeblich ist das jetzt schon eine kalte, leblose Sicht auf die Welt. Das ist oberflächlich. Sie ist im Rückblick eher von einer überwältigenden Schönheit, komplex, lebendig, und wärmt außerdem sehr zuverlässig.

[* Zugegeben: Das ist unsauber. Wir haben keine Ahnung woraus sie ist. Was "ist" ein "Materiestapel"? Wir halten fest, die Frage nach einer Wirklichkeit jenseits unserer Interpretation ist grundsätzlich immer Unfug. Gibt es dumme Fragen? Ja, mindestens diese eine. Zugeständnis: Manchmal finden wir intersubjektive Ähnlichkeiten zwischen unseren Weltbildern, das nennen sie dann "wirklich" und kann je nach Epoche sehr eklig werden]

II Im Kopf entstehn die Dinge.
Also, alle. - wie gesagt. Den ganzen Tag sucht er Gesetzmäßigkeiten, denn das ist es, was er kann. Er findet Struktur und Metastruktur, Farben, Formen, Bilder, Buchstaben, Wörter, Sätze, Töne, Harmonien, Lieder; selbstverständlich auch Liebe, oder Utopien, oder die Geschichte des Bergbaus in der Zeit on 1830 bis 1871, falls das fraglich sein sollte; findet als erstes mal Mutti und von Zeit zu Zeit auch leckeren Salat. Der Kopf einer Schnecke findet nur leckeren Salat.

Illustration: Die Welt eines Mathematikstudenten enthält andere - reale - Objekte als die Welt einer Eidechse. Den Begriff des Steins (auf dem die Eidechse) und den Begriff z.B. des Vektorraums (auf dem der Mathematiker) unterscheidet aber nichts als die Zahl der Abstraktionsschritte, die ich wieder hinabsteigen muss um einen bestimmten Materiestapel an den Begriff zu binden. Beide Begriffe sind aus dem gleichen Stoff gemacht. Sie sind entstanden entweder aus einem Kategorisierungsvorgang über Materiestapel, oder einem Kategorisierungsvorgang über zuvor auf diese Art hergestellte Begriffe.

Wenn Dir das Kopfschmerz bereitet, solltest Du nicht weiterlesen. Ich rede ja garnicht davon, dass wir nicht über Materiestapel, sondern nur über deren Niederschlag auf unseren Sinnesorganen kategorisieren können. Oder was auch immer. *.


III "Sinn"
destillierst Du aus deinem großen Archiv von Weltschnippseln heraus, das ist ein Gleichungssystem, für das Du, so ungefähr im Jahresabstand, eine persönliche Lösung abschätzt. Lektion: Was immer du da herausfindest, das ist nur Dein Sinn - natürlich. Wie soll ein allgemeiner, intersubjektiv, absolut geltender Sinn funktionieren? "Die Welt" ist Deine Welt.

IV Jetzt eine Übung: Bezeichne einen Bestandteil der Welt, der dir wichtig ist (Gegenstand, Geliebte/r) als: "Materiewolke + Artefakt eines Kategorisierungsvorgangs", wiederhol das. Geh den Gedanken schaudernd zuende, bis es kalt wird. Denk aber daran, dass dein Hirn komplex ist- ein Fußballstadion voller Spaghetti. Unterschätz' also nicht das Wunder, das grade passiert. Geh den den ganzen Weg entlang. Genieße, wie reich und lebendig das ist, was da aus unbelebter Materie sich zusammengefügt hat. Fass' Vertrauen in den uralten, klickenden Schwamm zwischen deinen Ohren.

V das kann höchstens als basis gemeint sein. aber es ist, immerhin, eine sehr schöne, sehr klare basis.

Montag, 28. April 2008

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excerpt aus der vergriffenen heftsammlung “die welt unter unseren füßen: reisereportaph dr. graf neidhardt von langnese- zitzewitz berichtet”, lübeck, 1970.

Fast schon ein Klischee: Das freundliche Upper- Class-Witwenpäärchen in Ausflugsstimmung. Mir gegenüber im Abteil also zwei gütig lächelnde ewige beste Freundinnen, wohl um die 70. Beobachten wortlos die Mitfahrenden, gucken sich dabei listig an, blättern in ihrer Kunstzeitschrift, oder pennen. Draussen hat sich das Oxfordshire unter den letzten Sonnenstrahlen in einen Rosamunde- Pilcher- Film verwandelt und gleitet von einem Motiv ins nächste, wobei ich nicht fotographiere: eine schöne Gegend mit vielen schattigen Falten in der Landschaft, darin den beiden mir gegenüber nicht unähnlich.
Die eine, etwas fülliger, sehr ruhig und sophisticated, kann man sich aber ohne viel Fantasie in den 1950ern zu Buddy Holly die Nächte durchtanzend vorstellen. Atmet jetzt Bildung aus allen Poren.
Die zweite, bisschen verhutzelter, aber mir sehr wachen Augen, nestelt umständlich in der gemeinsamen Tasche, findet etwas, hält inne - Blick aus dem Fenster - guckt für einen Augenblick unauffällig zu ihrer Freundin; und bringt ein billiges 0,25- Fläschchen mit einer klaren Flüssigkeit darin ans Tageslicht. Grinst mich für eine Sekunde an wie ein Eichhörnchen, und nimmt einen beherzten Schluck. Ex. Grinse zurück. Freue mich, zwei gefunden zu haben, die genau wissen, dass Nachmittagsfernsehen und salzlose Kost früh genug von selber kommen und nehme mir vor, auch mal so zu enden. Denke an den angebrochenen Supermarktwhiskey im Rucksack, muss aber schon aussteigen.

Sonntag, 30. März 2008

Gott am Bass

Ich stand in der Tür, den Blumenstrauß in der Hand, und ließ ihm die Zeit die er brauchte. Gott stand vor dem Spiegel und band sich seine Krawatte. Er rasselte, roter Kopf. "Achwas. Andertalb Stunden hamwer noch. Wenn det mit den Schlips weiterhin so prima läuft, reicht's sogar noch auf en Sherry" Und der Dicke schielte grinsend zu mir rüber. Aus der Küche schummerte Kaffeegeruch durchs Haus, dazu sein ständig murmelndes Radio. Das Häuschen war alt, grün, und hatte überall diesen unrettbar auf die Bodendielen geklebten Teppich, darunter Strohfüllung und Mäuse. Oben knackten die Dachbalken unter der Augustsonne.
Mit der Flasche in der Hand schob er sich an mir vorbei und runter ins schattigere Erdgeschoss, ließ sich in seinen Sitzsack fallen und nahm einen tiefen Schluck. Wischte sich die verschwitze Fresse ab gab weiter. Mechanisch trank ich was und setzte ich mich neben ihn aufs Parkett. Am Boden wars auch nicht kühler. Reichte die Flasche zurück und schloss für einen Moment die Augen. Spürte die Hitze durch die Fensterläden steigen Grad für Grad. Gott schwitzte und draußen zirpten die Zikaden.

Mit dem Namen ist er nicht geboren worden. Der echte war Herbert, aber den mochte er nicht, "Zu amerikanisch, mein Junge!". Gott hieß schon seit ich ihn kennenlernte Gott und er hätte vor mir niemals zugegeben, dass er verdammt stolz war auf seinen Spitznamen. War aber auch garnicht nötig.
Manchmal nannte ich ihn 'Gott Haarig', wegen der Matte.

Gott begann mir, nuschelnd, einen Vortrag über den Erhaltungsgrad von Münzen zu halten und reichte mir die Flasche. Ich kannte das Spiel und erzählte ihm meinerseites etwas über Hautcremes, und passte den handwarmen Sherry zurück. Nach seiner Theorie musste so nach dem Zufallsprinzip nach und nach ein interessantes Gespräch zustandekommen, er hatte mal Darwin gelesen. Eigentlich tranken wir dann immer nur zuviel.

Ich legte mich auf den Rücken und hörte den Geräuschen zu. Schobert & Black von Kasette aus dem Küchenradio. Gott am brummen über einen daumengroßen zylindrischen walzenhalsbock den er für seine werkstatt bräuchte oder sowas. daumengroßer zylindrischer walzenhalsbock.
Schwerer, zäher wind jetzt draussen, um mich dreht es sich sanft.


Von rechts kam die Uhr vorbei. Viertelstunde!
Das war die zwölfte, dreizehnte Hochzeit für uns dieses Jahr und jedes mal fingen wir mit dem Sherryritual an. Vielleicht waren wir deshalb so gut.
Fast gleichzeitig standen wir auf, ich öffnete ein Fenster: war etwas kühler geworden und roch feucht. Ich suchte mir in seiner Küche ein Stück Brot gegen den Sherrygeschmack und lud die Instrumente ein. Gott spielte Basstuba, ich etwas Akkordeon.
Die Gaststätte hatte einen Bühneneingang und war rücksichtslos neonbeleuchtet. Vereinsheimholzstühle mit grob geschnitzten, blattförmigen Lehnen. Hochzeitsgesellschaft nicht der Rede wert, 50-60 Spachtelnde an langen Tischen, Krautgeruch in der Luft und keine Musik.
Hinterm Vorhang: Ich baute unsere Anlage auf und band meine Plastikblumen an die Endstufe. Konnte losgehen.
Gott legte vor. Dröselte irgendeinen verminderten Septakkord auf, pom^pom- Schlag, pause, b'pömpöm-pom^pom- Schlag, pause. Er ging in loop, wartete meinen Einsatz ab, Vergeblich, ärgerlich. Runter auf Disdur! Verwegen. Ich ließ es langsam angehen und schichtete offbeat ein paar Akkorde drüber. Zeit für Schlagzeug, ich bediente unsere alleinstehende Bassdrum.
Die Gesellschaft guckte, aß aber weiter.
Ich steigerte mich in ein etwas besoffenes Solo rein, das uns auf magische Weise zu einer Bossanovaversion von "An der schönen blauen Donau" geriet. Bevor sie mitschunkeln konnten, brachen wir ab, ich jovial ins Mikro: "Gunampeinamndt'errn." Gott unterbrach mich: "Aaach halt's Maul, Junge, und spiel". Ich tat wie mir geheißen, laut, brutal, irgendeine fiese Zigeunerjazznummer. Gott kapierte und setzte gemütliche Bässe darunter. Dazu tänzelte er mit seinem Instrument über die winzige Bühne und unterdrückte ein Grinsen. Setzt ab, schreit ins Mikro: "Ho! Ho! Ho! Ho!", und leichtfüssig wieder rein in die Bässe. Ich: "Heya! Heya! Heee-ey!" und wiege mich im Takt. Vereinzeltes Mitwippen im Publikum, aber zu wenig, full stop. Gott probierte es jetzt mit Bewährtem. Pom.^ Pom.^ Pom-^pom-po'm^, Pom.^ pom. ^Pom-^pompo'm^.
Ich begriff, gab das bekannte Thema dazu. Die 5 Witwer neben der Tür begriffen auch- wir waren keine 10 Minuten auf der Bühne und hatten das erste "Tequilaa!". Ein guter Tag, Danke. Von da ab wurde wieder improvisiert, und nicht viel später tanzte der ganze Saal.

Eine Stunde später saßen draussen vor der Kneipe mit ein paar Alten, die uns Bier rausgebracht hatten und teilten ein paar Zigaretten. Von mir aus könnt' es so weitergehen sagte Gott.

(Wir sind in der ganzen zeit nie engagiert worden, geschweige denn eingeladen. Trotzdem stand es 1996, als Gott an seinem Fettherz verreckte, 20:8. 20, wir haben 20 unrettbare Familienfeiern gerockt, und 8, nur 8 mal wurden wir rausgeschmissen.)

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