a lifetime of stories, yeah baby

Sonntag, 30. März 2008

Gott am Bass

Ich stand in der Tür, den Blumenstrauß in der Hand, und ließ ihm die Zeit die er brauchte. Gott stand vor dem Spiegel und band sich seine Krawatte. Er rasselte, roter Kopf. "Achwas. Andertalb Stunden hamwer noch. Wenn det mit den Schlips weiterhin so prima läuft, reicht's sogar noch auf en Sherry" Und der Dicke schielte grinsend zu mir rüber. Aus der Küche schummerte Kaffeegeruch durchs Haus, dazu sein ständig murmelndes Radio. Das Häuschen war alt, grün, und hatte überall diesen unrettbar auf die Bodendielen geklebten Teppich, darunter Strohfüllung und Mäuse. Oben knackten die Dachbalken unter der Augustsonne.
Mit der Flasche in der Hand schob er sich an mir vorbei und runter ins schattigere Erdgeschoss, ließ sich in seinen Sitzsack fallen und nahm einen tiefen Schluck. Wischte sich die verschwitze Fresse ab gab weiter. Mechanisch trank ich was und setzte ich mich neben ihn aufs Parkett. Am Boden wars auch nicht kühler. Reichte die Flasche zurück und schloss für einen Moment die Augen. Spürte die Hitze durch die Fensterläden steigen Grad für Grad. Gott schwitzte und draußen zirpten die Zikaden.

Mit dem Namen ist er nicht geboren worden. Der echte war Herbert, aber den mochte er nicht, "Zu amerikanisch, mein Junge!". Gott hieß schon seit ich ihn kennenlernte Gott und er hätte vor mir niemals zugegeben, dass er verdammt stolz war auf seinen Spitznamen. War aber auch garnicht nötig.
Manchmal nannte ich ihn 'Gott Haarig', wegen der Matte.

Gott begann mir, nuschelnd, einen Vortrag über den Erhaltungsgrad von Münzen zu halten und reichte mir die Flasche. Ich kannte das Spiel und erzählte ihm meinerseites etwas über Hautcremes, und passte den handwarmen Sherry zurück. Nach seiner Theorie musste so nach dem Zufallsprinzip nach und nach ein interessantes Gespräch zustandekommen, er hatte mal Darwin gelesen. Eigentlich tranken wir dann immer nur zuviel.

Ich legte mich auf den Rücken und hörte den Geräuschen zu. Schobert & Black von Kasette aus dem Küchenradio. Gott am brummen über einen daumengroßen zylindrischen walzenhalsbock den er für seine werkstatt bräuchte oder sowas. daumengroßer zylindrischer walzenhalsbock.
Schwerer, zäher wind jetzt draussen, um mich dreht es sich sanft.


Von rechts kam die Uhr vorbei. Viertelstunde!
Das war die zwölfte, dreizehnte Hochzeit für uns dieses Jahr und jedes mal fingen wir mit dem Sherryritual an. Vielleicht waren wir deshalb so gut.
Fast gleichzeitig standen wir auf, ich öffnete ein Fenster: war etwas kühler geworden und roch feucht. Ich suchte mir in seiner Küche ein Stück Brot gegen den Sherrygeschmack und lud die Instrumente ein. Gott spielte Basstuba, ich etwas Akkordeon.
Die Gaststätte hatte einen Bühneneingang und war rücksichtslos neonbeleuchtet. Vereinsheimholzstühle mit grob geschnitzten, blattförmigen Lehnen. Hochzeitsgesellschaft nicht der Rede wert, 50-60 Spachtelnde an langen Tischen, Krautgeruch in der Luft und keine Musik.
Hinterm Vorhang: Ich baute unsere Anlage auf und band meine Plastikblumen an die Endstufe. Konnte losgehen.
Gott legte vor. Dröselte irgendeinen verminderten Septakkord auf, pom^pom- Schlag, pause, b'pömpöm-pom^pom- Schlag, pause. Er ging in loop, wartete meinen Einsatz ab, Vergeblich, ärgerlich. Runter auf Disdur! Verwegen. Ich ließ es langsam angehen und schichtete offbeat ein paar Akkorde drüber. Zeit für Schlagzeug, ich bediente unsere alleinstehende Bassdrum.
Die Gesellschaft guckte, aß aber weiter.
Ich steigerte mich in ein etwas besoffenes Solo rein, das uns auf magische Weise zu einer Bossanovaversion von "An der schönen blauen Donau" geriet. Bevor sie mitschunkeln konnten, brachen wir ab, ich jovial ins Mikro: "Gunampeinamndt'errn." Gott unterbrach mich: "Aaach halt's Maul, Junge, und spiel". Ich tat wie mir geheißen, laut, brutal, irgendeine fiese Zigeunerjazznummer. Gott kapierte und setzte gemütliche Bässe darunter. Dazu tänzelte er mit seinem Instrument über die winzige Bühne und unterdrückte ein Grinsen. Setzt ab, schreit ins Mikro: "Ho! Ho! Ho! Ho!", und leichtfüssig wieder rein in die Bässe. Ich: "Heya! Heya! Heee-ey!" und wiege mich im Takt. Vereinzeltes Mitwippen im Publikum, aber zu wenig, full stop. Gott probierte es jetzt mit Bewährtem. Pom.^ Pom.^ Pom-^pom-po'm^, Pom.^ pom. ^Pom-^pompo'm^.
Ich begriff, gab das bekannte Thema dazu. Die 5 Witwer neben der Tür begriffen auch- wir waren keine 10 Minuten auf der Bühne und hatten das erste "Tequilaa!". Ein guter Tag, Danke. Von da ab wurde wieder improvisiert, und nicht viel später tanzte der ganze Saal.

Eine Stunde später saßen draussen vor der Kneipe mit ein paar Alten, die uns Bier rausgebracht hatten und teilten ein paar Zigaretten. Von mir aus könnt' es so weitergehen sagte Gott.

(Wir sind in der ganzen zeit nie engagiert worden, geschweige denn eingeladen. Trotzdem stand es 1996, als Gott an seinem Fettherz verreckte, 20:8. 20, wir haben 20 unrettbare Familienfeiern gerockt, und 8, nur 8 mal wurden wir rausgeschmissen.)

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

zwanzigjährige
Wenn sich demnächst endlich herumspricht, dass das...
musenhold - 17. Dez, 04:52
Junges, weibliches Bäckereipersonal...
Junges, weibliches Bäckereipersonal dieser Stadt: In...
musenhold - 11. Feb, 16:16
-
excerpt aus der vergriffenen heftsammlung “die welt...
musenhold - 28. Apr, 04:41
Gott am Bass
Ich stand in der Tür, den Blumenstrauß in der Hand,...
musenhold - 30. Mär, 19:19

Links

Suche

 

Status

Online seit 5985 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 7. Jun, 16:44

Credits


a lifetime of stories, yeah baby
im zu nach..
kontaktabzüge
schade, dass das topic 'ich bin euer herbergsvater, und sage uha uha' schon von jochen reinecke besetzt ist.
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren